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7. Verwandte Motive und Themen

In auffallend vielen Fällen haben Ephraim Moses Lilien und Fidus dieselben oder sehr ähnliche Motive und Themen gewählt. Ihre Interpretationen sind allerdings sehr verschieden.

Ein Beispiel dafür ist die Gegenüberstellung vonLiliens An der Nähmaschine und Bei der Maschine von Fidus. Beide Darstellungen thematisieren das Verhältnis von Mensch, Maschine und
Arbeit.

Liliens Zeichnung zum Gedicht An der Nähmaschine, das in der 1902 erschienenen Sammlung Lieder des Ghetto enthalten ist, zeigt die harte körperliche Arbeit an der Maschine. Mensch und Maschine bilden eine Einheit: Ohne den Menschen funktioniert die Maschine nicht, und ohne Maschine „funktioniert“ der Mensch nicht. Ein beleibter Vampir mit weit aufgespreizten Flügeln steht hinter dem Arbeiter, beobachtet oder überwacht ihn und saugt ihm Blut aus.

Anders stellt Fidus das Verhältnis von Mensch und Maschine dar. Seine Zeichnung Bei der Maschine, die als Illustration für die Sammlung Für junge Herzen entstanden ist, 1897 herausgegeben
von der Verlags-Abteilung des Warenhauses A. Wertheim in Berlin, zeigt einen Studenten, der mit verschränkten Armen wie in Gedanken versunken auf dem Laufsteg einer Dampfmaschine steht.

Auch er ist Teil der Maschine, und gleichzeitig Beobachter, wenn auch nur eines Teils des Produktionsprozesses, wobei die Beobachtung der sich unaufhaltsam drehenden Räder der Maschine
als Metapher für die Endlosigkeit und damit für Zeitlosigkeit und Ewigkeit verstanden werden kann.

Der Energie und der Kraft, die die endlose Kreisbewegung der Maschine in Gang hält, stehen der Geist und die Denkleistung des bewegungslosen Beobachters gegenüber. Wobei letztere es sind, die die Maschine in Gang gebracht haben.

Karl Marx über die Nähmaschine

Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Näherei, Hutmacherei u. s. w. gleichmässig ergreift, ist die – Nähmaschine.

[…]

Die neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das greuliche Wachstum des Hungertods (death from starvation) in London während des letzten Dezenniums läuft parallel mit der Ausdehnung der Maschinennäherei. Die neuen Arbeiterinnen an der Nähmaschine, welche von ihnen mit Hand und Fuss oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Grösse und Specialität der Maschine, bewegt wird, verausgaben grosse Arbeitskraft. Ihre Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses, obgleich er meist kürzer als im alten System. Ueberall, wo die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen u. s. w., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die gesundheitswidrigen Einflüsse.

Aus: Das Kapital, Bd. I, Vierter Abschnitt, 13. Kapitel.

Fidus über reine Kunst

Desshalb giebt solche reine Kunst, als Bildkunst z. B., in erster Linie natürliche, d. h. ohne begriffliche Hintergedanken zu verstehende Bilder; sie will ja nicht zum Grübeln aufstacheln, sondern eher eine Klarheit geben über das im Leben scheinbar chaotische, wie ja auch eine schematische Zeichnung das Getriebe einer complizierten Maschine leichter erklärt als der Anblick der Maschine selbst oder auch eine blosse Wortschilderung derselben. Vor allem aber will sie auf Grund dieser elementaren Deutlichkeit das Mitgefühl, das Miterleben erzeugen. Mimicry ist die Kunst, nicht Bilderrätsel!

Aus: «Theosophie und Kunst», in: Transactions of the Annual Congress of the Federation of European Sections of the Theosophical Society held in Amsterdam June 19th, 20th and 21st, Amsterdam 1906, S. 365.