Unsere Künstler
Unsere Künstler
Von Br. E. M. Lilien – Braunschweig (Leopold Zunz-Loge)
Wir haben die vornehme, heilige Verpflichtung übernommen und sie oft genug feierlich bekräftigt, die Künste und Wissenschaften zu unterstützen. Brüder, heute frage ich euch: halten wir und wie halten wir diesen Schwur?
Gott schuf die Welt in sechs Tagen und ruhet seitdem. Wer schafft sie immer neu? Wer bildet sie fort im göttlichen Geiste? Der
Künstler! Ihm wurde die Mission, unsere Seele durch das Tor der Sinne und des Verstands in Gottes eigene Schönheit, Weisheit und Herrlichkeit einzuführen. Dazu berief der Höchste, wie das zweite Buch Mose lehrt, Bezal-El und Oholiab und wurde selbst ihr Schirmherr, ihr Schirmträger, so daß sie in seinem Schatten wandelten. Bezal-El bedeutet wörtlich: im Schatten Gottes. Nur wer den Orient mit seiner zehrenden Sonnenglut kennt, weiß, was es heißt, des kühlen Schattens zu genießen. Wie köstlich aber, wie erquickend ist der Schatten Gottes, wenn der Herr mit eigener Hand den Schild über des Künstlers geweihtes Haupt hält, wie auf uralten assyrischen Reliefs der erste Minister das Haupt des Königs beschirmt!
Ziemt es uns, Brüder, den Schaffenden, den Künstler zu „unterstützen“? Blinde und Krüppel unterstütze unser Mitleiden; aber eine Ehre sollte es uns sein, Arm in Arm mit dem zu gehen, den Schöpferkraft erfüllt, den Gott beschattet!
Denn des Künstlers Werk, ist nicht nach irdischem Maß und Gewicht zu bemessen, nicht nach Geld zu bewerten; es schmeichelt nicht dem Munde, dient nicht dem Magen, noch niederen Trieben. Der Künstler bildet neue, geistige, ewige Werte. Er baut am unsichtbaren Tempel des Ideals, er legt die Jakobsleiter an zu den besonnten Höhen der Menschheit.
Wenn nun Gott selbst den Künstler erwählte, um sein Werk zu fernen höchsten Zielen auf Erden fortzuentwickeln: wie soll irgend eine Gemeinschaft, wie soll unser Bund der Kunst, der Wissenschaft entraten können?
Brüder, laßt uns jeden Schaffenden auffordern, unserm Bunde beizutreten. Indem wir sie ehren, ehren wir uns, indem wir sie fördern, fördern wir uns; und wenn die Schaffenden, die Künstler, uns segnen, dann werden auch wir ein Segen sein.
Festnummer zum Ordenstage [Bne Brith], Oktober 1923, S. 99. Online