Passah

1901

Passah

Dem Maler E. M. Lilien zu eigen.

Siehe, es neigt sich auf die Welt
Die Nacht mit sternbesäeten Schleiern,
Die dunkle, stille Frühlingsnacht,
In der wir wieder Passah feiern.

Wir feiern es in diesem Jahr
Zum letztenmal im fremden Land,
Denn aus dem Ghetto führt uns heim
Der alte Gott mit starker Hand.

O Rabbi! Unser Sehnsuchtsschrei
Fand endlich Gnade vor dem Herrn;
Es leuchtet uns ins Vaterland
In junger Pracht der Zionsstern!

Noch liegt vor uns ein trübes Jahr,
Denn unser Weg ist rauh und weit,
Und unser Fuss wird müde sein
Und unser Herz voll Traurigkeit.

Es werden uns der Dornen mehr
Als Rosen an dem Wege steh’n;
Wir aber werden Hand in Hand
Mit hohem Muth dem Stern nachgeh’n.

— Und, Rabbi — dann kommt eine Nacht,
Die heilen wird all uns’re Wunden;
Das gnadenreiche Passahfest,
Wenn wir uns endlich heimgefunden.

Wir können erst im Vaterland
Den Kelch des höchsten Glückes trinken;
Wir werden uns in jener Nacht
Beseligt in die Arme sinken…

Der Heimat Palmen rauschen leis‘,
Und über uns strahlt hell und fern
Im dunkelblauen Himmelsmeer
Der Zionsstern.

Berlin. Dolorosa.

1902

Passah

Siehe, es neigt sich auf die Welt
Die Nacht mit sternbesäten Schleiern,
Die dunkle, stille Frühlingsnacht,
In der wir wieder Passah feiern.

Wir feiern es in diesem Jahr
Zum letzten Mal im fremden Land,
Denn aus dem Ghetto führt uns heim
Der alte Gott mit starker Hand.

O Rabbi! Unser Sehnsuchtsschrei
Fand endlich Gnade vor dem Herrn;
Es leuchtet uns ins Vaterland
In junger Pracht der Zionsstern!

Noch liegt vor uns ein trübes Jahr,
Denn unser Weg ist rauh und weit,
Und unser Fuss wird müde sein
Und unser Herz voll Traurigkeit;

Es werden uns der Dornen mehr
Als Rosen an dem Wege stehn –
Wir aber werden Hand in Hand
Mit hohem Mut dem Stern nachgehn. –

— Und, Rabbi — dann kommt eine Nacht,
Die heilen wird all‘ unsre Wunden,
Das gnadenreiche Passahfest,
Wenn wir uns endlich heimgefunden.

Wir können erst im Vaterland
Den Kelch des reinsten Glückes trinken;
Wir werden uns in jener Nacht
Beseligt in die Arme sinken……

Der Heimat Palmen rauschen leis,
Und über uns strahlt hell und fern
Im dunkelblauen Himmelsmeer
Der Zionsstern.

Die Welt (Wien), 5. Jahrg., 3. April 1901, Nr. 14, S. 13. Online
Confirmo te chrysmate, Berlin 1902, S. 90-91. Online