Moses oder Herzl?

Eine künstlerische Kontroverse.

Anläßlich der Todes des Zionistenführers Dr. Herzl’s bringt die Illustrationsbeilage des „Berl. Tagebl.“ und ebenso das offizielle Organ der Zionisten in Wien die Reproduktion eines Fenster-Kunstbildes, das den bekannten jüdischen Zeichner E. M. Lilien zum Autor hat und in welchem der Künstler den Zionistenführer als Vorbild seiner Moseafigur benutzt haben sollte. Es handelt sich hierbei um eine der drei Vorlagen, die der Künstler im Auftrage der Henry Jones-Loge in Hamburg für die Glasmuster der Fenster des neuen Logenheims, das seiner Vollendung demnächst entgegengeht, angefertigt hat. DaS eine Fenster enthält die Figur Hillels, ein zweites eine prächtige Menora und das dritte sollte eine Mosesdarstellung enthalten. Dem Moseskopf in dieser Darstellung hat der Zeichner, wie aus der beifolgenden Reproduktion ersichtlich, Züge gegeben, die allerdings die Vermutung nahelegen, daß dem Künstler die Figur Herzl’s bei der Schöpfung seines Bildes vorgeschwebt habe. E. M. Lilien selbst hat dies auf das Bestimmteste in Abrede gestellt. Er wurde s. Zt. bei der Besichtigung der Skizzen in seinem Berliner Atelier von einem Mitgliede unserer Redaktion ausdrücklich auf die Aehnlichkeit seiner Mosesfigur mit Herzl hingewiesen, er aber bestritt auf das Entschiedenste jede Absichtlichkeit und erklärte apodiktisch, daß ihm Herzl nicht als Vorbild gedient habe. Um so auffallender muß es erscheinen, daß jetzt offenbar von der gleichen Stelle die entgegengesetzte Auffassung vertreten wird. Wir führen unseren Lesern in Vorstehendem das Glasbild, das das eine Fenster des neuen Logenheims in Hamburg schmücken wird, hier vor, lassen indeß bei dieser Sachlage dahingestellt, ob E. M. Lilien mit diesem Bilde tatsächlich eine Verewigung des eben verblichenen Theod. Herzl s. A. beabsichtigt habe.

Israelitisches Familienblatt (Hamburg), 7. Jahrg., 14. Juli 1904, Nr. 28, S. 6. Online

Moses oder Herzl?