Juda
Gesänge vonBörries, Freiherrn von Münchhausen.
Buchschmuck von [[E. M. Lilien]].
Abweichend von unserer Gewohnheit erlauben wir uns heute, auf ein in dem Verlage F. A. Lattmann, Berlin-Goslar-Leipzig erschienenes Prachtwerk mit obigem Titel eingehender zu verweisen. Wir sagen nicht zu viel, wenn wir die Herausgabe dieser Gesänge als eine künstlerische That ersten Ranges bezeichnen. Bücher gelten in unserer materiellen Zeit bei vielen Leuten bekanntlich nichts. Seine literarischen Bedürfnisse stillt man durch den Bezug einer politischen Zeitung und durch seichte oder nervenkitzelnde Romane, die man nur zu oft der Leihbibliothek entnimmt. Gute Bücher, gediegene Prachtwerke zu kaufen, sieht man als Luxusausgabe an. Erst in der allerletzten Zeit beginnt eine Wendung zum Bessern, die wir den Engländern und Amerikanern verdanken. Dort setzt der wahrhaft gebildete Mann, auch ohne dass er zu den oberen Zehntausend gehört, seinen Stolz darein, neben schönen Bildern, gutem Tafelgeschirr auch eine gediegene Bibliothek zu haben. Das vielfach gehörte Wort „schmücke dein Heim“, hat in England und Amerika seine schönste Verwirklichung gefunden. Der gute Geschmack und wahre Bildung lässt sich grade aus der Hausbibliothek am schnellsten und leichtesten erkennen. Darum glauben wir, werden die Gesänge von Börries, Freiherrn von Münchhausen bald in den Büchereien aller gebildeten und feinfühlenden israelitischen Kreise zu finden sein. Es ist eine gewaltige Individualität, welcher wir in von Münchhausen begegnen. Er ist nicht der Dichterschule unserer modernen schwindsüchtigen Dichterlinge zuzuzählen, wo man vor lauter Interpunctionszeichen schließlich die Poesie vergessen hat. Nein, nicht ein Reimklauber, kein Versstammler spricht zu uns, sondern ein wahrer, wirklich Berufener.
Ein ungebundener, großartig angelegter Geist offenbart sich in gebundener Form. Schon die Eigenartigkeit der Motive, die Gedankentiefe und der feurige Schwung beweisen die Originalität Börries von Münchhausen.
Den Juden hat er sein Juda betiteltes Werk gewidmet.
Mir klang aus weiter Ferne her ein Rufen
Des Halljahrs Hörner bliesen heimwehstark
Ich sah im Osten Zions Tempelstufen
Da griff ein Sehnen mir ins tiefste Mark.
So singt der Dichter in seinem 1. Gesang, der den Titel „Euch“ führt.
Es ist ein Blick in die machtvolle Vergangenheit des jüdischen Volkes, welcher diese herrlichen Weisen uns in Worte gebannt hat. Zurück blicken muss der Israelit, um sich an der herrlichen Vergangenheit zu erlaben und Muth für die Zukunft zu schöpfen. Israel braucht sich wahrlich seiner Vergangenheit nicht zu schämen, wohl aber muss der Israelit beschämt sein, der die Vergangenheit seines Glaubens seiner Väter nicht kennt. Darum:
Sei still Judäa und schweige du Tochter des Sem!
Hänge dein Hoffen ans Später
Traue dem Gotte der Väter
Aus Zeiten voll Schande und Spott
Führt dich dein heiliger Gott
Mit unersorschlichem Rath
Der Sabbath der Sabbathe naht.“
Wir müssen so schwer es uns fällt aufhören und es bei diesen Stichproben bewenden lassen, sonst fänden wir gar kein Ende. Im Umsehen ist man aus einem nüchternen Rezensent ein aufmerksamer Bewunderer dieser Poesieen geworden und nur mit Bedauern legt man das Buch beiseite. Nein, nicht beiseite, sondern in die Nähe, um die Dichtungen immer wieder zur erquickenden Labung bei der Hand zu haben.
Vergessen wir aber über der Dichtung nicht den Buchschmuck, der das Herz eines jeden Kunstfreundes höher schlagen lässt. E. M. Lilien hat sich ganz in den Geist der Dichtung zu versenken gewusst und eine Reihe Bilder mit dem Griffel festgehalten, die in ihrer Auswahl von mächtiger Wirkung sind.
Einen großartigen Eindruck macht das Bild zu Rachab die Jerichonitin, von bestrickendem Reize sind die Bilder zu den Liebesliedern des Jehuda und zum Sabbath der Sabbathe. Böcklin’sche Stimmung überkommt uns beim Anblick der Illustrationen zu „Passah“ und „Sodoms-Ruinen“.
Prächtig und eigenartiger Auffassung ist auch die Darstellung des Liebenarmigen [sic!] Leuchters, und des Allerheiligsten. Jede einzelne Seite des höchst gediegenen Werkes weist Blumen- und Rankenwerk, Engelköpfe u. s. w. auf, welche mit künstlerischem Gefühl dem Inhalt der einzelnen Gedichte angepasst wurden. Das durch und durch der Kunst dienende und von der Kunst inspirierte Werk trägt sogar auf der Decke in sinnigster Weise dem Grundtone der Gesänge Rechnung, „Juda“ erstrahlt in dem Sterne der Hoffnung, wol [sic!] wird es von Dornen umgeben, aber über diesen Dornen wachsen Rosen. Soviel Leiden Israel durchgemacht hat, es waren nur die Vorstufen zu Freuden. Durch die Nacht gelangte Israel zum Licht.
Der verehrte Leser wird allein aus der Anführung der Proben wie der Andeutung des Buchschmucks entnommen haben, dass es sich bei diesem Werke um eine bisher in der israelitischen Buchausstattung noch nicht dagewesene künstlerische Darbietung ersten Ranges handelt.
Das im Verlage Lattmann erschienene Werk ist ein Merkstein, der uns zeigt, was sich aus einem Buche mit „jüdischen Gedichten“ machen lässt. „Jüdische Gedichte“, werden ja oft achselzuckend erwähnt, ich glaube in unserem Falle werden gerade die Schöngeister vereint mit jedem Gebildeten ein Loblied singen. Möge die Verlagsfirma für ihre Anstrengungen durch zahlreichen Absatz des Prachtwerkes belohnt werden. Der Preis von 8 Mark ist im Verhältnis des Gebotenen so geringfügig, dass die weitesten Kreise in die Lage versetzt sind, sich das einzig eigenartig schöne Werk zu erstehen.
Israelitische Gemeindezeitung (Prag), 29. Jahrg., 1. Februar 1901, Nr. 4, S. 2. Online