Fräulein Don Juan
Die schon durch ihren Gedichtband “Confirmo te Chrysmate“ berüchtigte Verfasserin macht nun auch belletristisch in Masochismus und anderen sexuellen Verirrungen. Der künstlerische Wert des Buches ist gleich null, die Psychologie mitleiderregend. Die Szene am Schluss des Buches, in der die traurige Heldin dem urwüchsigen Forstmann Schotten all die Gräßlichkeiten ihrer Vergangenheit erzählt, krönt das Ganze würdig. Man glaubt schon der Mann des Waldes werde vor diesem entsetzlichen Großstadtprodukt und seinen Geständnissen voll Abscheu die Flucht ergreifen; doch nein! „er sank vor ihr in die Knie und küßte ihr zart, fast andächtig (!!) die tränennassen Hände und nannte sie „meine Braut“!“ Wenn die schlaue Verfasserin auch schreibt: „In diesem Buche steht nichts, als nur von Liebe, und daher von den schlichtesten, einfachsten Wahrheiten des Lebens. Ich liebe die Wahrhaftigkeit, und darum ziehe ich mit fester, rücksichtsloser Hand von dem dunklen, allzulange verheimlichten Liebesleben der modernen, komplizierten Frau den Schleier, mit dem feige Verlogenheit und heuchlerische Prüderie der Frauen, unfreiwillige Unwissenheit und törichte Mißachtung von seiten des anderen Geschlechts sie drapiert haben,“ so hat sie es doch nur auf ganz gewöhnliche Sensation und Spekulation, auf gewisse Instinkte abgesehen. Das Buch ist nicht sinnlich im gewöhnlichen Sinn; es ist widerlich, pervers, abstoßend. Bezeichnend ist auch die skrupellose Art mit der ein katholischer Priester, der eine recht traurige Rolle spielt, und ein abscheuliches Zerrbild des Klosterlebens und der Nonnenerziehung ins Buch hereingezerrt werden. Was oll man aber dazu sagen, daß der katholische Charfreitag und die göttliche Erlösungstat auf Golgatha zu einem Akte der empörendsten Perversität mißbraucht werden? Die Autorin bemerkt selber: „Das war mehr als eine sakrilegische Feier“ (S. 205). Und derartiges darf ungestraft gedruckt werden, während man Majestätsbeleidigungen so schwer ahndet? Vor dem Buche, das ein widerwärtiges Titelbild „ziert“ und das wahrscheinlich auch seine Verteidiger finden wird, sei hiermit gewarnt.
München. L. v. Roth.
Literarische Warte, 5. Jahrg., 1. November 1903, Heft 2, S. 124-125. Online