Ein offener Brief
(Jüdische Maecene und jüdische Kunst)
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Im Namen eines hervorragend talentierten jüdischen Mädchens erbitte ich mir für die folgenden Ausführungen ein wenig Raum in Ihrer geschätzten Zeitschrift.
Der besondere Anlass giebt mir Gelegenheit, einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken .
Ich war oft und oft in der Lage , Beobachtungen
darüber anzustellen , welche irrige Vorstellungen
in der Oeffentlichkeit über die Kunstfreundlich¬
keit der reichen Juden vorherrschen . Es geschah
fast regelmässig , wenn mich ein nichtjüdischer
Künstler oder Schriftsteller besuchte , dass sich
zwischen uns folgender Dialog entwickelte : „ Sie
haben es gut “ , sagte mein Gast , „ Sie sind ein
üdischer Künstler , — da werden Ihnen natürlich
Ihre Werke von den reichen Juden förm¬
lich aus der Hand gerissen , Sie werden pro¬
tegiert und gefördert , da können Sie auch
leicht und gut schaffen und in Ihrer Kunst vor –
wärts kommen . . . Ich pflege darauf ge¬
wöhnlich zu antworten — mit einigen Fragen , wie
es schon unsere Art ist : , . Wie kommen Sie zu
solchen Ansichten ? Glauben Sie wirklich , dass
reiche Juden sich mit jüdischen Künstlern ab¬
geben ? Haben Sie schon an den Wänden der
jüdischen Salons ein Werk eines jüdischen
Künstlers gesehen , etwa eines Hirszenberg , eines
Struck oder gar eines Lesser Ury ? Wieviel
Stipendien können Sie mir nennen , welche
von Juden für Juden gestiftet sind ? Glau¬
ben Sie , dass die wenigen jüdischen Museen
sich für einen jüdischen Künstler früher inter¬
essieren , als bis er gestorben und eine jüdische
Antiquität geworden ist und eben so wenig kom¬
promittieren kann wie die Keilschrift – Tafeln von
El – Amarna ? Glauben Sie , dass die grossen Tage¬
blätter , die man so gerne Judenblätter nennt , für
ein bewusst – jüdisches Talent eine Zeile frei haben ?
Wenn Sie das alles geglaubt haben , so lassen
Sie sich sagen , dass gerade diejenigen Juden , die
sich an der Börse zum Luxus der Kunstmäcene
emporgeschwungen haben , mit einer Sorgfalt , die
sie bei den heikelsten Geschäften nicht anzuwen¬
den pflegen , darauf bedacht sind , dass ja kein
Bild eines jüdischen Künstlers an die Prosa ihrer
Abstammung und ihres Geschäftsverkehres er¬
innere . Wohl , diese Juden sind modern : Sie
überfluten die Ueberbrettel , sie überschwemmen
die Cabarets , sie überfüttern Paradechristen , sie
überfüllen ihre Bibliothek mit Ueberbüchern – , —-
aber sie unterstützen nicht jüdische Kunst .
Freilich , es giebt einige wenige umso rühmlichere
Ausnahmen , aber es ist ganz unmöglich , dass
diese Wenigen alles auf sich nehmen , So lange
bei der grossen Mehrheit der jüdischen Reichen
das Prinzip jener vermeintlichen Vorurteilslosig¬
keit besteht , die dahin geht , dass sie als Juden
ausschliesslich nicht – jüdische Kunst und Wissen¬
schaft fördern — und das allein macht sie zu
öffentlich bekannten Mäcenen — so lange werden
die jüdischen Künstler aus eigener Kraft ringen
müssen . Wenige werden unter höchster An¬
spannung ihres Talentes und ihres Fleisses , den
sie als Juden zu vervielfachen gezwungen sind ,
die Aufmerksamkeit und Förderung nicht jüdischer
Kreise erzwingen und sich so durchsetzen . Viele ,
die Unbekannten , Namenlosen , minder Wider¬
standsfähigen sterben am Wege . “ — — —
on Regina Mundlak .
Manchen hochbegabten Menschen habe ich
selbst so am Wege sterben sehen . Wie viel
jüdische Tragik lag darin , welcher Idealismus ,
welche Kraft , welche Hoffnungen wurden da
begraben !
Wird der zu neuem Leben erwachte jüdische
Geist endlich auch darin segensreichen Wandel
schaffen ?
Ich erwarte es , ich hoffe es fest , und diese
Ueberzeugung bestimmt mich , heute die Auf¬
merksamkeit Ihrer Leser auf ein jüdisches Talent
zu lenken . Ich hatte vor einiger Zeit Gelegen¬
heit , in meinem Atelier Arbeiten eines jungen ,
jüdischen Mädchens zu sehen , welche mich
geradezu frappierten . Es lag in ihnen so viel
Ursprünglichkeit , so viel von Schlichtheit und
doch intimster Beobachtung , wie sie bei den
jungen Künstlern unserer Tage nur selten an¬
zutreffen ist . Was aber ganz besonderen Ein¬
druck auf mich ausübte , war die Wahrnehmung ,
dass sich in allen ihren Arbeiten eine ganz un¬
gewöhnliche Liebe zur Natur , nicht nur in ihren
schönen , sondern auch in ihren hässlichen Er¬
scheinungsformen , kundgab . Gerade das war
mir bei einer so jugendlichen Künstlerin der
sicherste Beweis , dass sie von jedem Dilettantismus
weit entfernt sei , ganz abgesehen davon , dass
keine Spur von einer Aengstlichkeit oder Un¬
sicherheit zu bemerken war . Die junge Künstlerin
interessierte mich so sehr , dass ich sie bat , mir
etwas von ihrem Leben zu erzählen .
Und was ich da hörte , war wieder einmal
das alte traurige Lied vom armen jüdischen
Künstler .
Regina Mundlak zählt heute erst fünfzehn
Jahre . Sie ist geboren im Dorfe Koleskach ,
Gouv . Lomza . Sie hat nie Schulunterricht ge¬
nossen , hat aber doch
viel gelernt . In frühe¬
ster Kindheit ent¬
wickelte sie ihr zeich¬
nerisches Talent . Ihre
nächste Ump ‚ ebuno –
O O
liefert ihr die Stoffe .
Das Milieu ist ihre
Lehrmeisterin . Sie
zeichnet typische Ge¬
stalten des Golus : alte
Juden , Frauen mit ab¬
gehärmten Zügen ,
derbe , abgearbeitete
Handwerker u . s . w .
Seit einem Jahre ist
sie in Berlin . Max
Liebermann hat sie
für sehr talentiert er¬
klärt und bestreitet
die Kosten ihrer Aus¬
bildung . Leider aber
fehlen dem jugendlich¬
zarten Mädchen , das
hier mit seiner Mutter
lebt , alle Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhal¬
tes . Seit einem Jahre muss sie , während sie unablässig
an ihrer künstlerischen Fortentwickelung arbeitet ,
mit Not und Sorgen aller Art kämpfen . Ausser
stände , die vielen Schwierigkeiten zu überwinden ,
müsste sie sich entschliessen , nach ihrer Heimat
zurückzukehren und ihre künstlerische Lautbahn
aufzugeben , wenn sich nicht in letzter Stunde
Helfer für sie finden .
Ich appelliere hier¬
durch an die wenigen ,
die ihren Wohlstand
mit echter Kunst¬
freundlichkeit verbin¬
den . Mögen manche
einsehen , was ich im
Beginne meiner Aus¬
führungen dargelegt
habe und sich dem
nachahmenswerten
Beispiele vereinzelter ,
wie des Herrn Dr .
Rapoport de Porada
in Wien oder Henne –
berg in Zürich , die
sich der jüdischen
Kunst warm ange¬
nommen haben , an¬
schliessend Einige
Proben , die ich Ihnen
zur Reproduktion ein¬
sende , mögen bewei¬
sen , ob Fräulein Mund –
Feder – Zeichnung von Regina Mundlak .
Selbstportrait
Regina Mundlak .
lak der Förderung wert ist .
Diese Proben sprechen für sich .
Ich möchte nur bemerken , dass
die Zinkographie nicht im
stände ist , die Frische und
Flottheit der Bleistiftzeichnung
wiederzugeben . Ob meine Aus¬
führungen hinreichen werden ,
einen jüdischen Mäcen für eine
jüdische Künstlerin zu inter¬
essieren , weiss ich nicht . Wenn
sie genügen , wird es ein erfreu¬
licher Beweis sein , dass eine
neue , bessere Zeit gekommen ist .
Genehmigen Sie,hochgeehrter
Herr Redakteur , den Ausdruck der
£
Hochachtung Ihres
E . M . Lilien .