Die Starken
Dolorosa, „Die Starken“. Ein Athleten-Roman. Leipziger Verlag G. m. b. H., Leipzig, 38.
An guten Sportromanen haben wir keinen Ueberfluß. Der vorliegende Roman von Dolorosa ist einer der wenigen, welche die Bedingungen erfüllen, die man an einen guten Sportroman stellen muß: sportlich korrektes Milieu, dabei aber so lebhafte, interessante Handlung, so scharfe Zeichnung allgemein menschlicher Charaktere, daß auch der Nichtsportmann davon befriedigt wird. — In Kreise, die dem größten Teil des Publikums ebenso unbekannt wie interessant sind, führt dieser Roman: in das Milieu der Ringkämpfer. Dis großen internationalen Preisringer haben, wie aus diesem Buch ersichtlich ist, allen Grund, von ihrem Leben und ihrem Sport nicht zuviel in die Oeffentlichteil dringen zu lassen. Roheit, Habgier und rücksichtsloses Ausleben aller möglichen Passionen kennzeichnen einen großen Teil der Preisathleten. Daneben stehen ganz unvermittelt edle, ja, vortreffliche Eigenschaften. Alle Charaktereigenschaften erscheinen in diesem seltsamen, abnormen Milieu überhitzt und ins Maßlose gesteigert. Verschiedene sportliche Machinationen, die nicht immer als „fair“ zu bezeichnen sind, werden mit gutem Humor geschildert. — Von dem abenteuerlichen, leidenschaftlich bewegten internationalen Hintergrunde hebt sich mit großer Klarheit die Geschichte des Ringkämpfers Roland ab. Eingeweihte werden leicht einen deutschen Champion in dieser sympathischen Figur erkennen. Roland, ein begabter Student und Dichter, wird durch äußere Zufälligkeiten bewogen, an einer Ringkämpferkonkurrenz teilzunehmen. Der herbe Konflikt in seiner Seele, ob er dem Zuge der körperlichen Kraft oder dem Zuge nach Geistesbetätigung folgen soll, ist überzeugend und stellenweise erschütternd dargestellt. Als endlich auch seine liebenswürdige, geistig hochstehende Braut ihm aus freiem Antriebe ratet, der ihm von Gott verliehenen „Kraft“ treu zu bleiben, entschließt er sich endgültig, bei dem Beruf zu bleiben und erringt am nämlichen Abend durch ein außergewöhnliches, sportlich und menschlich einwandfreies Manöver die Weltmeisterschaft. Das Buch steht im Motto des originellen, heute mehr wie je umstrittenen Stirner-Ausspruches: „Ein Ruck tut mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab.“
Wiener Allgemeine Zeitung, 31. August 1907, Nr. 8829, S. 6. Online