Die Starken
„Die Starken.“ Ein Athletenroman von Dolorosa. Leipziger Verlag G. m. b. H. Leipzig. Das Neueste, das Allerneueste! Die jüngste Frucht der Jagd nach „Milieu“. Der Roman „Die Starken“ spielt in Ringkämpferkreisen, legt Alles, was bisher Anspruch auf die Bezeichuuug Literatur hatte, direkt auf beide Schultern. Und das Kunststück wird nicht etwa von einem Manne geleistet, der seine schlechtbezahlte Feder in den Dienst der wohlfeilen Kolportageliteratur stellen muß, sondern von einer Dame, die unter dem Pseudonym Dolorosa Proben nicht gewöhnlicher Begabung lieferte, die mit einem Bande Verse begann, die vor Jahren just den Schreiber dieser Zeilen zu dem schmeichelhaftesten Urtheile veranlaßten. Was die Wandlung bei dieser talentirten Frau herbeigeführt haben mag, ist nicht ganz klar. Der Wunsch, um jeden Preis besser zu leben, als man von Lyrik leben kann? Ist das der Fall, dann absolviren wir Dolorosa, kommen ihr sogar zu Hilfe, indem wir festlegen, daß dieser Athletenroman an Sacher-Masoch anknüpft und von einer seiner Schülerinnen sein könnte. Ist jedoch dieses Buch auf den verrückten Taumel zurückzuführen, der nervöse Frauenzimmer nach dem Besuch von Ringkämpfen befällt, war nicht materieller Zwang die Ursache des Entstehens dieser für die leichtgerührten Seelen von Küchenfeen berechneten Erzählung, dann gibt es nicht genug der scharfen Worte für die wässerige Romantik und den schimmelig duftenden Realismus dieser „Starken“! Uns hat es sehr viel Spaß gemacht, den Helden Eberhard Freidank zwischen zwei Lebensberufen pendeln zu sehen. Als sehr moderner deutscher Hamlet schwankt er zwischen dramatischem Schriftthum und athletischem Meisterringerthum. Auch zwischen zwei Frauenzimmern, die ihm gottlob ebenso zufallen wie der Ruhm des Dramatikers und der goldene Gürtel des Champions. Und wir waren tief bewegt, als Eberhard Freidank der literarischen Welt seine souveräne Verachtung zuwandte und Liebchen Nr. 2 im Arme definitiv beschloß, ein „Starker“, das heißt ein Ringkämpfer zu bleiben. Wenn auch Dolores verspricht, unter die Ringerinen zu gehen und keine solchen Romane mehr zu schreiben, dann seien ihr in Himmels Namen „Die Starken“ vergeben. Vergessen werden sie ja ohnedies bald sein.
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Pester Lloyd, 54. Jahrg., 18. August 1907, Nr. 197, S. 15. Online