Börries Freiherr von Münchhausen
Der Dichter hat selbst in der hebräischen Monatsschrift „Hakescheth“ erzählt, wie er in Berlin Ephraim Mose Lilien kennen lernte und mit ihm den Plan faßte, eine illustrierte Ausgabe seiner jüdischen Gesänge zu ver öffentlichen. Dort schrieb er u. a.: „Die Ferien waren gekommen und auf meinem Thüringer Schlosse Windischleuba hausten wir beide. Oben war Dir ein helles Giebelzimmer hergerichtet als Atelier, abgelegen und still, wie Du es wolltest, Fra! Und dort vergingen unsere Vormittage, — während ich den Simson, die einzige noch unfertige Ballade des Buches, fertig schrieb, zeichnetest Du an den Rahmen und Vollbildern. Weit standen die Fenster offen, über die Wiesen zog der Rauch ferner Kartoffelfeuer und ganz fern auf den Feldern klang bisweilen ein Peitschenknall oder ein gedämpftes Hü—ott! Und bisweilen fuhren wir auf, wenn ein Turmfalke kurz vorm Fenster mit scharfem Schrei im Fluge abbog, und sahen uns an und freuten uns der Stille. Dann wieder krochen wir durch alle die vielen engen Treppen und Treppchen und Gänge des alten Schlosses. Und Du typtest mit oft erstaunten Augen das Dir fremde Milieu, die Kreuzgänge und den Pallas, oben im großen Saal die Rüstungen und Waffen, Wallgraben und Park, Mauern und Türme. Und nach dem Essen ging’s zu Fuß oder Rad hinaus in das köstliche Thüringer Land… So haben wir zusammen gelebt und allmählich, ganz allmählich den andern verstanden. Und bei diesem Verstehen ist unser Buch erwachsen und unsere Freundschaft. Wie vieles war nicht in uns, das so verschieden war wie Nacht und Tag! Deine finstere, freudlose Jugend. Deine ferne galizische Heimat in dem elenden kleinen Drohobycz. Dein Kämpfen, Ringen und Leiden, Deine innere Heimatlosigkeit. Ich mußte mich immer schämen vor Dir, Efra. Bei mir war alles so festgegründet und selbstverständlich. Meine niedersächsische Heimat, die hannöverschen Güter, meine große fröhliche Familie, meine glänzende glückliche Jugend, in der mir bis auf den heutigen Tag kaum je irgend ein Wunsch unerfüllt geblieben ist. Wo Du gekämpft hast, haben mir die Leute alles von selbst zugetragen, das hat mich oft gewurmt. Wir haben wohl beide viel von einander gelernt.“
Wie der Dichter sein erstes Werk zustande brachte, schildert uns E. A. Regener in seinem schönen Buch über Lilien: „Hebräische Gesänge des hannöverschen Freiherrn von Münchhausen! Die Pracht der Psalmen und die Wucht hebräischer Wortgefüge rissen ihn zu einer Begeisterung hin, die schöpferisch auf seine Phantasie einwirkte. Er ging den herben Klängen nach und berauschte sein Ohr an den einfachen Melodien. In seine Träume hinein rauschten die Psalmen des gelobten Landes, hingen die Früchte der Feigen und Reben, lockten die Gittith und schlugen die Cymbeln. Die Heldenstärke des alten Israel, sein Mut und die Festigkeit seiner Waffen zwangen ihm Bewunderung ab, so daß er seine Strophen zu ihrer Verherrlichung fügte. Und was waren das auch für Strophen! Bald leicht und munter wie der flinke Fuß der Gazelle, bald dumpf und schwer wie eine Trauermelodie, die aus den Weiden, aus den Wassern Babylons seufzt. Und wieder klirrte es in ihnen wie ein Heer schwertgegürteter Galiläer und speerbewaffneter Anwohner des Kidron, es jauchzte das Befreiungslachen eines endlich erlösten Volkes aus wunderbaren Worten und leise und innig flüsterte zur Stunde der Nacht, da die Hirtenfeuer rauchten, im Stamme Gad Jehudas Mund zärtliche Liebesworte. Münchhausen berauschte sich an der Größe gewaltiger Taten, die im Volke der Juden umgehen, wie bei den Germanen die Taten Karls des Großen, bei den Griechen die des Theseus, bei den Franzosen die des Roland oder Bayard.“
Das Experiment, einen Dichter seine eigenen Schöpfungen vortragen zu lassen, gelingt nicht immer. Freiherr von Münchhausen hat aber die in ihn gesetzten Erwartungen kaum enttäuscht. Er beherrscht die Kunst des Vortrags jedenfalls besser als mancher andere Schriftsteller, und es wäre ja auch merkwürdig gewesen, wenn die große Begeisterung, die aus seinen Versen spricht, nicht auch in seinem Vortrag zum Ausdruck gekommen wäre. Er begann mit einem etwas singenden Ton die Weissagung des Jesaia vorzutragen, dann aber folgten in mannigfacher Abwechstung: Der Triumphgesang der Juden (nach der Zerstörung Babylons), Saul bei der Hexe von Endor, Rahab, die Jerichonitin (die die Heimatstadt verriet um ihres Freundes willen), Der Fährman von Elgand (eine packende Schilderung der Pest in der Bretagne), ferner: Der Marschall, die ergreifende Dichtung: Der Totenspieler, ein Dreigespräch (zwischen einer Mutter und ihren beiden Söhnen), Der hungrige Teich und zum Schluß die Einleitung zu dem Buche Juda. Diese Dichtungen machten den Eindruck starken Lebens und einer ausgeprägten Persönlichleit. Sie verbinden mit einer dramatisch gespannten Handlung eine knappe Darstellung und eine hohe Vollendung der Form. Sie sind, wie alle echten Balladen, wie geschaffen zum Vortrag, und deshalb muß man dem Vorstand des Vereins Dank dafür wissen, daß er uns die Bekanntschaft mit dem Dichter vermittelt hat. Leider wurde die Wirkung des Vortrages durch die Unruhe in dem Wirtschaftsbetrieb des Kasinos an der Kastanienallee, das Klappern und Knarren der Türen und andere Geräusche gestört. Für diesen Vortrag hätte man jedenfalls einen besseren Saal auswählen sollen. Das Publikum spendete nach jeder Ballade starken Beifall.
Essener Volks-Zeitung, 39. Jahrg., 26. Januar 1906, Nr. 21, S. 1. Online