Böcklins "Judith"

Böcklins „Judith“

Die Notiz über den „schauerlichen ‚Reinfall“ dea Kunstschriftstellers Franz Servaes, die wir in Nr. 48 unseres Feuilletons als den „Basler Nachrichten“ entnommen anführten, wurde diesem Blatte infolge eines Uebersehens von uns zugeschrieben; sie gehört der „Basler Zeitung“ an. Uns selbst ist eine „Judith“ von Böcklin nicht bekannt. Und auch Prof. Dr. Adolf Frey in Zürich, der an einer Böcklinbiographie arbeitet und an den wir uns um Auskunft wandten, sprach uns brieflich mit aller Bestimmtheit nur das eine aus, daß Böcklin ganz gewiß nicht die biblische Judith gemalt habe und wohl auch nicht die Judith aus Gottfried Kellers „Grünem Heinrich“. In der Novelle vom Landvogt von Greifensee, welche in der Notiz der „Basler Zeitg.“ genannt war, kommt keine Judith vor, wohl aber eine Wendelgard, die auf einem Präsentierbrett Liköre hereinträgt, wobei die Vormittagssonne liebliche Spiele in den geschliffenen Gläsern anstellt. Es wäre ja nun möglich, daß Böcklin diese Gestalt vorgeschwebt und daß irgend jemand das Bild dann willkürlich „Judith“ genannt hätte. Denn, wie Adolf Frey uns schreibt und Böcklin auch selbst mündlich uns seinerzeit versicherte: „Böcklins Bilder haben gewöhnlich andere Leute getauft als ihr Schöpfer.“

Unter allen Umständen bleibt es eine Geschmacklosigkeit ohnegleichen, daß der Kunstschriftsteller Franz Servaes die ungeheuerliche Unappetitlichkeit sich einzureden vermochte, Böcklin habe, indem er eine Judith malen wollte, sie dargestellt, wie sie das Blut des Holofernes hereintrage: in einer Flasche abgezogen wie Wein und mit Gläsern!

Der Bund (Bern), 54. Jahrg., 22. Februar 1903, Nr. 53. S. 3. Online