Esther
Wie wird dein Angesicht so bleich,
Was sinkst du zitternd vor mir hin,
O Weib, der Sonne selber gleich,
O Esther, mein Königin!
Mit deiner Blicke Flammenstrahl
Hast du mein Herz zur Glut entfacht,
Dass es in grausam süsser Qual
Nur dich begehrt bei Tag und Nacht!
Zehntausend Jungfrauen sind geschmückt,
Mich liebebrennend zu umfangen;
Doch du allein hast mich, entzückt
Mit deinen blütenfrischen Wangen,
Mit deinem rosenroten Mund,
Mit Augen, wie ein Märchentraum,
Mit deiner Brüste zartem Rund,
Weiss wie der Schnee vom Kirschenbaum!
Vor allen Frauen wunderbar
Bist du mit Anmut reich geschmückt;
Mit deinem rabenschwarzen Haar
Hast du mein Königsherz umstrickt!
O Esther, schön und sonnengleich,
Was je yon mir dein Herz begehrt;
Und wär’s mein halbes Königreich,
Dir ist die Bitte schon gewährt.
Berlin. Dolorosa.
Die Welt (Wien), 5. Jahrg., 7. Juni 1901, Nr. 23, S. 10. Online