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1. Visionen und Ikonen

Mit dem Gedenkblatt des fünften Zionisten-Kongresses, der Ende Dezember 1901 in Basel stattfand, schuf E. M. Lilien eine Ikone der zionistischen Bewegung. Fidus wiederum formulierte mit seinem Lichtgebet die Ikone der Lebensreform in Deutschland. Er malte und zeichnete das Motiv im Laufe der Jahre in mehreren Fassungen und vertrieb diese als Drucke und Postkarten.

Auch Lilien variierte sein Bild, etwa in der doppelseitigen Tafel Der jüdische Mai in Lieder des Ghetto, die 1902 erschienen. Als Karte ist die Zeichnung unter verschiedenen Titeln erschienen, so etwa unter dem Titel Hope.

Auch wenn beide Bilder denselben Gedanken mit lehrhafter Vereinfachung veranschaulichen, nämlich den Weg oder die Hinwendung zur Sonne und zur Freiheit, enthalten sie bei genauerem Hinsehen doch einander entgegengesetzte Botschaften.

Bei Lilien weist ein Engel mit einem grossen Davidstern auf der Brust und schützend ausgebreiteten Flügeln einem alten Mann mit gesenktem Kopf, den er auf einen Stock aufstützt, gefangen in einem Dornengebüsch, den Weg ins Gelobte Land. Wobei Land im buchstäblichen Sinn des Wortes den Boden meint, den es zu bebauen gilt.

Bei Fidus dagegen reckt sich ein nackter blonder Jüngling auf einer Bergkuppe mit ausgebreiteten Armen der Sonne entgegen. Erzählerische Elemente fehlen, etwa wie er dahin gekommen ist oder wohin er gehen wird. Das Motiv ist reduziert auf den Moment, der gleichzeitig in Zeitlosigkeit erstarrt ist. Hingabe an die Natur, Aufgehen in ihr, Meditation oder Gebet, wie der Titel suggeriert, Unerreichbarkeit des Himmels oder des Göttlichen, Feier des nackten Körpers oder seine Transzendenz: Das Bild eignet sich als Projektionsfläche für Interpretationen, Wünsche und Fantasien. Das Bild soll übrigens, so berichtet Elsbet Höppener, die zweite Frau von Fidus, wesentlich von einem Ausflug von Fidus im Juni 1904 auf die Rigi geprägt sein.

Eine weitere Ikone ist Liliens Foto von Theodor Herzl, dem «Vater des Zionismus», auf ein Geländer gestützt, den Blick prophetisch in die Ferne gerichtet. Es entstand anlässlich des ersten Zionisten-Kongresses 1897 in Basel auf einem Balkon des Hotels Les Trois Rois. Dabei handelt es sich streng genommen um eine «Photographie nach dem Leben, gestellt von E. M. Lilien» wie beim Abdruck in Ost und West vermerkt ist: Bei genauerem Hinsehen ist deutlich zu erkennen, dass es sich um eine Fotomontage handelt.

In der Folge wurde das Motiv immer wieder aufgenommen und variiert. So zeigt etwa eine Verschlussmarke des Jüdischen Nationalfonds KKL, dessen Zweck ursprünglich der Ankauf von Land in Palästina war, das Herzl-Porträt mit dem Davidsturm in Jerusalem, dahinter die strahlende Sonne.

Vitrine 1

Elsbet Höppener über das Erlebnis vom Rigi

Die Nebelwolken, welche in den Tälern brauten, kamen in Bewegung, erhoben sich und strebten zum Licht.

Sowie aber ein Sonnenstrahl sie traf, gab es einen Kampf, ein Hin- und Hergewoge. Die Sonne aber blieb Siegerin. Sie löste die Wolken zu leichten Zephirschleiern auf. Bis auch diese verschwanden.

Es war ein wunderbares Schauspiel, das wir alle vier staunend und beglückt erlebten.

Fidus aber hat es tief in sich hinein getrunken und nun erst den rechten Raum für sein – Lichtgebet – gefunden.

So leuchtend, so in Licht gebadet, steht ein blonder Jüngling in dieser Morgenbläue. Ja, er hebt sich noch auf die Zehen, um Gott nahe zu sein.

So hat Fidus der Menschheit das Erlebnis vom Rigi mit hinuntergebracht und in vielen Abwandlungen gestaltet.

Die erhobenen Arme zum Licht, wie Fidus Seele sie so unmittelbar erlebte, sind gleichzeitig auch die – Mannesrune – der alten Germanen.

In dieser Bewegung strömt auch das hingebende und empfangende – A – der Eurythmie.

Aus: Feierstunde zur 10. Lichtgeburt von Meister Fidus † 23. Februar 1948 veranstaltet von Johann Dressler, Bln. W. 35, Winterfeldstr. 10, am 21. Februar 1958. Manuskript und Abschrift in der Berlinischen Galerie, Berlin.